Murat Topal und die Integration

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Murat Topal und die Integration
Oluşturulma Tarihi: Eylül 25, 2010 11:14

Murat Topal ärgert sich über Sarrazin. Christiana Drapkin kämpft mit dem Kreuzworträtsel der "New York Times". Und Ndongala Kisita aus dem Kongo feiert am Niederrhein Karneval. Beispiele zurIntegrationsdebatte aus Berlin, New York und Kranenburg.

Haberin Devamı

"Ich hab' ja nichts gegen Ausländer, aber ...": Das hat Murat Topal (35) oft gehört. Zehn Jahre lang war der Deutsch-Türke als Polizist in Berliner Problemvierteln im Einsatz. Seine Kollegen nannten ihn "Topi". Heute ist er Kabarettist, seine Frau ist Schwäbin. Die Familie wohnt im grünen Stadtteil Britz, wo Schrebergartenkolonien "Neu Helgoland" und "Zufriedenheit" heißen. Das Klischee vom arbeitslosen Türken mit Satellitenschüssel am Fenster ist so weit weg wie der Bosporus.
Topals Einfamilienhaus hat einen kleinen Pool im Garten, Spielzeug liegt im Wohnzimmer, es sieht ein bisschen nach Ikea aus. Nachher muss der Comedian noch los, zu Fernsehdreharbeiten. Die halbstarken Rapper-Gangster, die ihr Käppi absurd weit oben auf dem Kopf tragen, kann er gut imitieren. Auch der Gemüsehändler Üsküdar und der Ur-Berliner Pasulke gehören zum Repertoire. Als Kabarettist verarbeitet er, was er auf den Straßen von Kreuzberg und Neukölln erlebt hat. Früher war der Einstiegsgag: "Ich bin Türke. Und Polizist. Geht beides."

Bei Sarrazin hört für Topal der Spaß auf
Wenn es um Thilo Sarrazin geht, hört bei ihm der Spaß auf. Dessen These, dass Muslime sich nicht integrieren wollen und vom Sozialstaat schmarotzen, ärgert Murat Topal. Und dann noch die angeblich genetischen Zusammenhänge: "Das macht mich regelrecht sprachlos." Sein Vater Süleyman hat sich, wie viele der Gastarbeiter, krumm gemacht und sonntags in der Kabelfabrik Extraschichten geschoben.
Jetzt wird er, so sieht es der Sohn, wie die Mehrheit der rechtschaffenden Muslime in einen Topf mit den Problemfällen geworfen. Und dabei hat Süleyman sogar eine Verdiensturkunde an der Wand "zu hängen". Letzteres ist Dialekt: Murat Topal ist Berliner durch und durch, aufgewachsen in Neukölln. Er spricht Türkisch, aber nicht so gut wie Deutsch.
Er deutet aus dem Fenster. Auch in den Nachbarhäusern wohnen Türken, ganz bürgerlich am Stadtrand. "Wer hat denn Interesse an denen, die gibt es ja eigentlich gar nicht?" Topal kennt die Probleme aus den Brennpunkten, wo Kinder aus Ausländerfamilien oft schlecht Deutsch sprechen. Er würde wie viele Berliner seine zwei Kinder deswegen dort nicht zur Schule schicken, jedenfalls noch nicht. "Dass es gewisse Probleme gibt, streitet ja niemand ab." Nur diese auf die Religion zu schieben, lässt Murat Topal nicht zu. Bei seinen Einsätzen als Polizist hat er die Argumente häufig gehört. Wenn ein Peter Müller seine Frau verprügelte, dann, weil er ein Idiot war. Aber wenn das ein Hasan Yüksel tat, lag es daran, weil er Türke und Muslim war. Danach sagten die Kollegen als Trost: "Naja, Topi, darfste nicht persönlich nehmen, du bist ja anders."
Er hat gerade ein Buch geschrieben: "Der Bülle von Kreuzberg." Polizist wurde er eher zufällig. Die Ausbildung begann er zusammen mit neun ostdeutschen Kollegen, die seinen Vornamen nicht verstanden. "Wie, Robert?" - "Nein, MURAT." Dann gab es für die Kollegen eine Lektion mit dem Holzhammer. Murat bekam als einziger in Deutsch eine Eins. Im zweiten Lehrjahr hatte er immer frei, wenn die anderen Kollegen zur Deutschstunde mussten.

"Integration geht durch den Magen"
Christiana Drapkin verstand kein Wort, als sie 1980 mit 21 Jahren nach New Orleans kam. Ihr erstes Eintauchen in die USA war ein Kulturschock. Alles war komplett anders als zu Hause in Baden-Baden, der schwere Dialekt von Louisiana, die Hitze auf den Straßen, der Umgang zwischen Mädchen und Jungen.
"Da wird einem erst mal klar, wie wenig man wirklich wissen kann über ein Land wie die USA, obwohl man mit Filmen und Fernsehen aufgewachsen ist und viele Bücher gelesen hat. Aber das ist ja immer nur eine Reflexion. Die Realität ist anders", sinniert die heute 51-Jährige.
Sie hat sich dann eingefunden, wurde Jazzsängerin, verliebte sich in den jüdischen Jurastudenten Robert Drapkin und zog mit ihm nach Brooklyn. "In New York fühlte ich mich sofort pudelwohl." Hier musste sie aber andere Dinge lernen. Wie zum Beispiel das amerikanische Schulsystem funktioniert, als das für Tochter Miriam und Sohn Benjamin akut wurde. Und wie sich das vertrackte Kreuzworträtsel in der Sonntagsausgabe der "New York Times" lösen ließ. Sie brauchte meist mehrere Tage dafür - während ihrer U-Bahnfahrten zum Job in einer deutschen Bank in Manhattan. "Ich wollte die Sprache perfekt beherrschen."
Sich in Brooklyn schnell zugehörig zu fühlen, fiel ihr nicht schwer. Fast jeder hat einen Akzent. Der Gemüsehändler kann vor allem koreanisch, der Taxifahrer stammt aus Somalia und der Pizzabäcker ist Italo-Amerikaner der dritten Generation. "New York ist gar nicht so sehr ein Melting-Pot (Schmelztiegel), als eher ein Mosaik, farbenfroh und bunt." Zur Selbstdefinition grenze man sich ab, aber jeder nehme doch ein Teil der anderen Kultur an. Und wenn es nur die Lieblingsspeise ist.
Sie bäckt an Weihnachten die Plätzchen nach dem Rezept ihrer Großmutter - und serviert trotzdem thailändische Suppe, die sie bei ihrer Nachbarin gelernt hat. "Integration geht durch den Magen." Heimatgefühl auch: Um die beklemmenden Wochen nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center 2001 zu überstehen, kochte sie jeden Abend deutsches Essen, wie Sauerbraten oder Spätzle. "Es war echtes German Soul Food - Essen für die Seele."
Ihre Mutter lebt noch in Baden-Baden. Von ihr hat sie eine Drehorgel bekommen, auf der sie schaurige deutsche Moritaten-Lieder wie "Mariechen saß weinend im Garten" abspielt. Ihre erwachsenen Kinder sind beide Amerikaner, nach der Scheidung hat sie einen neuen Partner, wieder einen Amerikaner, ihr Lebensmittelpunkt ist hier. Auch nach 30 Jahren weiß sie eines ganz genau, nämlich dass sie die deutsche Staatsbürgerschaft niemals aufgeben würde. Bei der Frage nach dem Warum schaut Christiana Drapkin ins Leere und zuckt mit den Schultern. "Es wäre ein persönlicher Verlust."

"Ganz Kranenburg kennt mich"
Ndongala Kisita hat ebenfalls einen deutschen Pass, aber erst seit zwei Jahren. Er ist der Schwarze aus Kranenburg am Niederrhein. "Ganz Kranenburg kennt mich." Früher haben sie ihm misstrauisch nachgeschaut, heute grüßen sie ihn. Die Kranenburger wissen: Kisita ist einer von ihnen. Er legt Wert auf Pünktlichkeit und Sonntagsruhe, feiert gern Karneval und schimpft auf die Holländer.
In der Gärtnerei, in der er seit elf Jahren arbeitet, ist er nur "der Kisi". "Der Kisi ist voll der feste Bestandteil bei uns", sagt Firmeninhaber Klaus Peters (27). Kisita sagt: "Die Firma ist wie eine Familie für mich." Dabei lädt er Topfpflanzen um. Hinter ihm dehnt sich grenzenloses Flachland aus mit Pappelalleen, geduckten Kirchtürmen und schwarz-weißen Kühen. An einem Mast im Garten eines Anwohners flattert eine Deutschlandflagge. An der Straßenecke hängt ein hölzerner Christus am Kreuz. "Schwarz" hat am Niederrhein für gewöhnlich eine andere Bedeutung. 1995 kam der heute 45-Jährige als politischer Flüchtling aus dem Kongo nach Deutschland. Er hatte sich das Land als irdisches Paradies vorgestellt und landete in einem Wohncontainer am Niederrhein.
Draußen lag ein nassschwarzer Blätterteppich, und über den Rübenäckern gingen die schrägen Schleier herbstlicher Regengüsse nieder. "Da ist mir klargeworden: Deutschland ist anders." Sein erstes Integrationserlebnis hatte er im Supermarkt. Zusammen mit einigen anderen Afrikanern wollte er dort Erdnussbutter kaufen. "Wir haben ungefähr eine Stunde dafür gebraucht, bis wir den Verkäuferinnen klargemacht hatten, was wir wollten. Da ist mir klargeworden: Ich muss Deutsch lernen."
Anfangs hielt er sich noch an andere Afrikaner, die schon länger in Deutschland waren. Zum Beispiel Johnny, der mit ihm in einer Firma vorsprach: "Wir suchen Schwarzarbeit." Darauf der Personalchef: "Sie sind doch schon schwarz!" Da ist Kisita klargeworden, dass manche Ausländer einfach nie begreifen werden, wie Deutschland funktioniert. Seine nächste Lektion war: Es reicht nicht, wenn man gebrochen Deutsch spricht - man muss es gut sprechen. "Es ist doch respektlos, wenn ich auf der Straße jemanden anquatsche mit "Hallo, wo is' Bahnhof?" Es heißt: "Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, wo der Bahnhof ist?"" Heute ist Kisita mit einer Deutschen verheiratet. Sie haben fünf Kinder, die zwei ältesten stammen aus der ersten Ehe seiner Frau und sind entsprechend "glänzend weiß". Letztes Mal im Karneval haben sich ziemlich viele Leute umgedreht, als sein 18-jähriger Stiefsohn ihm durch die Menge zurief: "Hallo Papa!" Darauf, so sagt Kisita, ist er unendlich stolz, "denn so was muss man sich verdienen".
Heute ist er auf jeden Fall glücklich am Niederrhein. Im Wesentlichen hat er das sich selbst zu verdanken. Aber da waren auch andere - Deutsche, die ihm geholfen haben. Der evangelische Pfarrer zum Beispiel, der gleich nach dem ersten Gottesdienst zu ihm gekommen ist und gesagt hat: "Herzlich willkommen! Wie kann ich Ihnen helfen?" Oder die Arbeitskollegen, die die unverständlichen Formulare vom Amt für ihn ausgefüllt haben. Oder der unbekannte Kranenburger, der ihn mit anderen Afrikanern Fußball spielen sah und sie ansprach: "He, kommt doch mal zu uns in den Verein!"
Negativ-Erfahrungen hat er natürlich auch gemacht, aber nichts davon ist im Entferntesten so schlagzeilenträchtig wie das, was Günter Wallraff mit schwarzer Schminke im Gesicht für sein neues Buch recherchiert hat. Kein "Afrika für Affen, Europa für Weiße". Eher ein Ausweichen, ein Vermeiden von Begegnungen, was ihn auch sehr verletzt hat. Er hat aber immer versucht, das offen anzusprechen, zum Beispiel in seiner Kirchengemeinde.
Vielleicht ist es einfacher, als Ausländer in einem 10 000-Einwohner-Ort am unteren Niederrhein zu leben als in Berlin oder Köln. In der Großstadt gibt es Subkulturen, in die man abtauchen kann. "Hier muss man sich integrieren", sagt Kisita und lächelt das breite, ansteckende Lächeln, für das er in Kranenburg bekannt ist. "Sonst hat man einfach kein Leben."

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